Im Gespräch: Antje Neumann-Schröter, Systemische Paartherapeutin in Neuenhagen bei Berlin
Antje Neumann-Schröter arbeitet seit 2001 als Mediatorin mit Familien und Paaren. Seit sechs Jahren ist sie Systematische Therapeutin und Paartherapeutin. In ihrer Praxis in Neuenhagen bei Berlin hilft sie Paaren nicht nur bei der Trennung, sondern auch beim Zusammenbleiben. Darüber hinaus ist sie für das Jugendamt und das Familiengericht tätig. Diamonds Factory hat sie nach Ihren Erfahrungen im Jahr 2020 gefragt.
Lockdown ging im März los. Ab wann bemerkten Sie eine Veränderung bei Ihrer Arbeit?
Relativ schnell. Schon im April, gleich nach den Osterferien. Mir ist es einerseits privat aufgefallen, weil mein Mann und meine Tochter im Homeoffice bzw. -schooling waren und ich jeden Tag in die Praxis fuhr. Ich war auf jeden Fall dankbar, weiter arbeiten gehen zu können, weil mein Beruf systemrelevant ist. Das hat mich aber auch maximal gefordert. Neben der Einhaltung der Hygiene-Richtlinien habe ich versucht, allen Klienten in ihrer Not Raum zu geben. Das war nicht immer leicht, weil es für mich aufgrund des sehr hohen Gesprächsbedarfs kaum Urlaubszeiten gab.

Foto: Polina Zimmerman, Pexels
Was ist Ihnen im Jahr 2020 bei der Arbeit besonders aufgefallen?
Es gab eine sehr große Nachfrage und Termine sollten nach Möglichkeit am besten sofort stattfinden.
Im ersten Lockdown zog die digitale Technik in meine Arbeitswelt mit den Klienten ein. Aufgefallen ist mir, dass Sitzungen mit einzelnen Klienten leichter auf das Video-Format umzustellen waren als Termine mit Paaren. Das Paar bewegt sich „auf dünnem Eis“. Es geht um hoch intime und manchmal schwer anzusprechende Dinge. Bei einer Videoberatung haben die Partner dann möglicherweise die Angst, dass ich sie als Therapeutin nicht ausreichend ‚halten’ und stützen kann.
Sie sagen, dass Sie 2020 mehr gearbeitet haben als jemals zuvor. Liegt das daran, dass Sie weiter Beratungen angeboten haben und andere Therapeuten nicht oder war 2020 auch mehr Arbeit da?
Sowohl als auch. Es gab andere Therapeuten, die weniger persönliche Termine angeboten haben. Ich denke aber vor allem, dass die Notsituation „Lockdown“ viele Menschen dazu angetrieben hat, etwas für ihre Beziehung zu tun. Wenn man sich sonst mit Freunden treffen konnte, wegfahren oder im Außen ablenken konnte, war das dieses Jahr nicht möglich. Ich würde sagen, das Jahr 2020 war für viele Paare ein Jahr der Entscheidung, und ganz oft eine Entscheidung für die Partnerschaft. In der Krise wurde vielen Paaren bewusst, dass die Entscheidung für einen gemeinsamen (Ehe-)Lebensweg auch über holpriges Pflaster führen kann und dass es sich lohnt, dafür zu kämpfen. Die Motivation war meines Erachtens in diesem Jahr noch höher, weil Familie und Partnerschaft einen viel größeren Raum in unser aller Leben eingenommen haben. Paare sind inzwischen auch eher bereit, Geld für eine Paartherapie auszugeben.

Foto: Fotografierende, Pexels
Wenn Sie Beratungen und die Probleme, mit denen Paare zu Ihnen kommen, vergleichen zu vor- und während der Pandemie, hat sich thematisch etwas verändert?
Ja und nein. Es gab auch in der Pandemie die Themen aus den vergangenen Jahren, z.B. Außenbeziehungen, Affären, Eifersucht, Sexualität.
Im Jahr 2020 gab es weniger Gelegenheiten des Sich-aus-dem-Weg-Gehens. Daraus resultierte eine größere Motivation, die eigene Beziehung zu klären und nach Möglichkeit, wieder zueinander zu finden. Pandemiebedingt standen viele Paare vor ganz neuen Herausforderungen: Homeoffice am Küchentisch, Kinderbetreuung und Homeschooling. Jeder musste seinen Raum zuhause finden. Die alte Rollenverteilung funktionierte nicht mehr: Wessen Job ist wichtiger? Wer beschult oder beaufsichtigt die Kinder etc.? In meiner Arbeit unterstützte ich die Paare dabei, neue Rituale zu finden und in den Alltag zu integrieren und den Blick auf das halb volle Glas zu richten und nicht auf das halb leere.

Foto: Cottonbro, Pexels
Wie wirkt sich eine Lockdown-Situation auf Beziehungen aus?
Der Lockdown war und ist eine Stresssituation für alle, natürlich auch für die Paarbeziehungen. Paare haben entweder enger zusammengefunden oder drohten, an den Belastungen zu zerbrechen. Die Krise war für die meisten meiner Klienten auch eine Krise zur Allgemeinklärung von Dingen in den Partnerschaften. Ich habe im Zukunftsreport 2021 den Satz gelesen: „Vor dem Entscheiden kommt das Erkennen.“ (Wolf Potter). Genau darum ging es ganz oft in meinen Gesprächen im letzten Jahr. Meine Hilfe bezieht sich darauf, zu sortieren, um dann entscheiden zu können. 2020 war ein gutes Jahr für Erkenntnis und Entscheidung.
Hat Lockdown zu mehr Trennungen geführt?
In meinem Erleben nicht. Schlussendlich denke ich, war es für viele auch eine positive Zeit. Die „verordnete“ Entschleunigung sorgte für Ruhe, die vorher nicht da war. Hetzen von A nach B, höher, schneller, weiter, immer wieder etwas Neues, dieses und jenes Hobby. All das war 2020 kein Thema und hat dazu geführt, sich mehr auf das zu besinnen, was tatsächlich da ist und das zu behalten und zu gestalten.

Foto: Emma Bauso, Pexels
Was ist Ihrer Meinung nach das Geheimnis einer guten Beziehung?
Das fragen Sie mich, die mit 48 das erste Mal geheiratet hat. [lacht]
Es ist wichtig, den Blick immer wieder auf das zu richten, was verbindet, nicht auf das, was trennt. Ich gehe mit den Paaren in meinen Gesprächen oft zurück an den Anfang der Beziehung. Da sehe ich ganz oft Augenleuchten und Tränen der Rührung.
Eine gute Beziehung braucht ein festes und tragfähiges Fundament. Ich benutze gern das Bild eines alten Hauses. Wenn das Fundament stabil ist, dann trotzt es auch Stürmen und hält Renovierungen und Umbauten aus.
Wir danken Antje Neumann-Schröter für das Gespräch.
Im Gespräch: Antje Neumann-Schröter, Systemische Paartherapeutin in Neuenhagen bei Berlin
Antje Neumann-Schröter arbeitet seit 2001 als Mediatorin mit Familien und Paaren. Seit sechs Jahren ist sie Systematische Therapeutin und Paartherapeutin. In ihrer Praxis in Neuenhagen bei Berlin hilft sie Paaren nicht nur bei der Trennung, sondern auch beim Zusammenbleiben. Darüber hinaus ist sie für das Jugendamt und das Familiengericht tätig. Diamonds Factory hat sie nach Ihren Erfahrungen im Jahr 2020 gefragt.
Lockdown ging im März los. Ab wann bemerkten Sie eine Veränderung bei Ihrer Arbeit?
Relativ schnell. Schon im April, gleich nach den Osterferien. Mir ist es einerseits privat aufgefallen, weil mein Mann und meine Tochter im Homeoffice bzw. -schooling waren und ich jeden Tag in die Praxis fuhr. Ich war auf jeden Fall dankbar, weiter arbeiten gehen zu können, weil mein Beruf systemrelevant ist. Das hat mich aber auch maximal gefordert. Neben der Einhaltung der Hygiene-Richtlinien habe ich versucht, allen Klienten in ihrer Not Raum zu geben. Das war nicht immer leicht, weil es für mich aufgrund des sehr hohen Gesprächsbedarfs kaum Urlaubszeiten gab.
Foto: Polina Zimmerman, Pexels
Was ist Ihnen im Jahr 2020 bei der Arbeit besonders aufgefallen?
Es gab eine sehr große Nachfrage und Termine sollten nach Möglichkeit am besten sofort stattfinden.
Im ersten Lockdown zog die digitale Technik in meine Arbeitswelt mit den Klienten ein. Aufgefallen ist mir, dass Sitzungen mit einzelnen Klienten leichter auf das Video-Format umzustellen waren als Termine mit Paaren. Das Paar bewegt sich „auf dünnem Eis“. Es geht um hoch intime und manchmal schwer anzusprechende Dinge. Bei einer Videoberatung haben die Partner dann möglicherweise die Angst, dass ich sie als Therapeutin nicht ausreichend ‚halten’ und stützen kann.
Sie sagen, dass Sie 2020 mehr gearbeitet haben als jemals zuvor. Liegt das daran, dass Sie weiter Beratungen angeboten haben und andere Therapeuten nicht oder war 2020 auch mehr Arbeit da?
Sowohl als auch. Es gab andere Therapeuten, die weniger persönliche Termine angeboten haben. Ich denke aber vor allem, dass die Notsituation „Lockdown“ viele Menschen dazu angetrieben hat, etwas für ihre Beziehung zu tun. Wenn man sich sonst mit Freunden treffen konnte, wegfahren oder im Außen ablenken konnte, war das dieses Jahr nicht möglich. Ich würde sagen, das Jahr 2020 war für viele Paare ein Jahr der Entscheidung, und ganz oft eine Entscheidung für die Partnerschaft. In der Krise wurde vielen Paaren bewusst, dass die Entscheidung für einen gemeinsamen (Ehe-)Lebensweg auch über holpriges Pflaster führen kann und dass es sich lohnt, dafür zu kämpfen. Die Motivation war meines Erachtens in diesem Jahr noch höher, weil Familie und Partnerschaft einen viel größeren Raum in unser aller Leben eingenommen haben. Paare sind inzwischen auch eher bereit, Geld für eine Paartherapie auszugeben.
Foto: Fotografierende, Pexels
Wenn Sie Beratungen und die Probleme, mit denen Paare zu Ihnen kommen, vergleichen zu vor- und während der Pandemie, hat sich thematisch etwas verändert?
Ja und nein. Es gab auch in der Pandemie die Themen aus den vergangenen Jahren, z.B. Außenbeziehungen, Affären, Eifersucht, Sexualität.
Im Jahr 2020 gab es weniger Gelegenheiten des Sich-aus-dem-Weg-Gehens. Daraus resultierte eine größere Motivation, die eigene Beziehung zu klären und nach Möglichkeit, wieder zueinander zu finden. Pandemiebedingt standen viele Paare vor ganz neuen Herausforderungen: Homeoffice am Küchentisch, Kinderbetreuung und Homeschooling. Jeder musste seinen Raum zuhause finden. Die alte Rollenverteilung funktionierte nicht mehr: Wessen Job ist wichtiger? Wer beschult oder beaufsichtigt die Kinder etc.? In meiner Arbeit unterstützte ich die Paare dabei, neue Rituale zu finden und in den Alltag zu integrieren und den Blick auf das halb volle Glas zu richten und nicht auf das halb leere.
Foto: Cottonbro, Pexels
Wie wirkt sich eine Lockdown-Situation auf Beziehungen aus?
Der Lockdown war und ist eine Stresssituation für alle, natürlich auch für die Paarbeziehungen. Paare haben entweder enger zusammengefunden oder drohten, an den Belastungen zu zerbrechen. Die Krise war für die meisten meiner Klienten auch eine Krise zur Allgemeinklärung von Dingen in den Partnerschaften. Ich habe im Zukunftsreport 2021 den Satz gelesen: „Vor dem Entscheiden kommt das Erkennen.“ (Wolf Potter). Genau darum ging es ganz oft in meinen Gesprächen im letzten Jahr. Meine Hilfe bezieht sich darauf, zu sortieren, um dann entscheiden zu können. 2020 war ein gutes Jahr für Erkenntnis und Entscheidung.
Hat Lockdown zu mehr Trennungen geführt?
In meinem Erleben nicht. Schlussendlich denke ich, war es für viele auch eine positive Zeit. Die „verordnete“ Entschleunigung sorgte für Ruhe, die vorher nicht da war. Hetzen von A nach B, höher, schneller, weiter, immer wieder etwas Neues, dieses und jenes Hobby. All das war 2020 kein Thema und hat dazu geführt, sich mehr auf das zu besinnen, was tatsächlich da ist und das zu behalten und zu gestalten.
Foto: Emma Bauso, Pexels
Was ist Ihrer Meinung nach das Geheimnis einer guten Beziehung?
Das fragen Sie mich, die mit 48 das erste Mal geheiratet hat. [lacht]
Es ist wichtig, den Blick immer wieder auf das zu richten, was verbindet, nicht auf das, was trennt. Ich gehe mit den Paaren in meinen Gesprächen oft zurück an den Anfang der Beziehung. Da sehe ich ganz oft Augenleuchten und Tränen der Rührung.
Eine gute Beziehung braucht ein festes und tragfähiges Fundament. Ich benutze gern das Bild eines alten Hauses. Wenn das Fundament stabil ist, dann trotzt es auch Stürmen und hält Renovierungen und Umbauten aus.
Wir danken Antje Neumann-Schröter für das Gespräch.